Raiffeisenbanken wechseln die Einlagensicherung

Dr. Johannes Rehulka, Heft 12/2021

 Ende Mai 2021 haben die Europäische Zentralbank und die österreichische Finanzmarktaufsicht ein neues bundesweites Institutssicherungssystem für die Raiffeisen Bankengruppe genehmigt. Gleichzeitig wurde dieses Institutssicherungssystem auch als Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungssystem anerkannt. Nach Ablauf einer gesetzlich vorgesehenen Frist wechseln nun die Raiffeisenbanken in die neue Österreichische Raiffeisen-Sicherungseinrichtung (ÖRS).

Hintergrund

Die Einlagensicherungssysteme in Europa sind in der EU-Richtlinie 2014/49/EU geregelt. In dieser EU-Richtlinie hatte man sich nach jahrelangen Verhandlungen auf neue Mindeststandards für die Harmonisierung des Einlegerschutzes in den einzelnen Mitgliedstaaten geeinigt.

 

Seidl

Neben der Einführung eines einheitlichen Einlegerschutzes bis zu 100.000 Euro jedes Einlegers pro Bank und der einheitlichen Definition der gedeckten Einlagen und einheitlicher Auszahlungsfristen in einem Einlagensicherungsfall brachte die EU-Richtlinie vor allem strukturelle Veränderungen für den österreichischen Bankensektor.

Denn zum Zeitpunkt des Beschlusses der EU-Richtlinie betrieben die fünf Fachverbände der Kreditwirtschaft (Raiffeisen, Sparkassen, Banken und Bankiers, Volksbanken und Landeshypothekenbanken) sektorale Sicherungseinrichtungen. Bei Raiffeisen war für den Einlagenschutz bis 2018 die Österreichische Raiffeisen-Einlagensicherung eGen (ÖRE) zuständig.

Dieses sektorale System wurde durch die EU-Richtlinie abgeschafft. Eine sektorale Aufteilung nach Fachverbänden ist der EU-Richtlinie naturgemäß nicht bekannt. Insoweit war klar, dass mit dem Inkrafttreten der neuen Bestimmungen des Umsetzungsgesetzes der EU-Richtlinie in Österreich, ab 1. Jänner 2019 jedenfalls drei Einlagensicherungen (Volksbanken, Hypothekenbanken, Banken und Bankiers) zusammengelegt werden. Nach jahrelangen Bemühungen des Fachverbandes der Raiffeisenbanken auf EU-Ebene war es aber gelungen, dass die EU-Richtlinie die Möglichkeit vorsah, dass Einlagensicherungssysteme auch in der Form eines institutsbezogenen Sicherungssystems ausgestaltet sein können. Demnach können die zuständigen Behörden gemäß Artikel 4 (2) der EU-Richtlinie institutsbezogene Sicherungssysteme als Einlagensicherungssysteme anerkennen, wenn sie alle in der vorliegenden Richtlinie festgelegten Kriterien erfüllen. Diese Bestimmung wurde in § 3 (1) des Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetzes (ESAEG) übernommen.

Nachdem die Raiffeisen Bankengruppe am 1. Jänner 2019 der allgemeinen Einlagensicherung, Einlagensicherung Austria, beigetreten war und auf die Schaffung einer eigenen Einlagensicherung verzichtet hatte, schienen zunächst strukturelle Fragen geklärt.

Die Neugründung

Nach zwei Einlagensicherungsfällen in den ersten zwei Jahren in der Einlagensicherung Austria beschloss die Raiffeisen Banken­gruppe, die bei weitem größte Bankengruppe in Österreich, im Herbst 2020 eine eigene Einlagen­sicherung zu gründen.

Der Knackpunkt für die Gründung der neuen Einlagensicherung war die Schaffung eines institutsbezogenen Sicherungssystems (IPS) für die bundesweite Raiffeisen Bankengruppe. Nur ein einheitliches System kann von der FMA als Einlagensicherung anerkannt werden. Für eine dezentral ausgerichtete Bankengruppe, die bis zu diesem Zeitpunkt sieben IPS betrieb, stellte die Schaffung eines bundesweiten IPS einen großen Schritt dar. Sämtliche beitritts­willige Raiffeisenbanken mussten binnen weniger Wochen über eine Antragstellung bei den Aufsichtsbehörden und über den Beitritt zu dem neuen Institutssicherungssystem entscheiden. Am Ende des Tages sind bis auf vier Institute sämtliche der 340 Raiffeisenbanken dem neuen Institutssicherungssystem beigetreten.

Für die Anerkennung des IPS als Sicherungseinrichtung mussten, abgesehen von dieser wesentlichen strukturellen Voraussetzung, noch andere (eher selbstverständliche) Aufgaben erfüllt werden: Eine Haftungsgesellschaft als juristische Person muss das institutsbezogene Sicherungssystem betreiben, vertragliche Vereinbarungen und eine Mindestabdeckung von zumindest 15% aller gedeckten Einlagen in Österreich durch die Mitgliedinstitute müssen vorliegen.

Dass es sich angesichts des vorhandenen Zeitdrucks und der Vielzahl der einzubindenden Raiffeisenbanken um ein sektorales Großprojekt gehandelt hat, muss an dieser Stelle wohl nicht gesondert erwähnt werden. Nur eine äußerst flexible Zusammenarbeit mit den Ansprechpartnern der Raiffeisen-Landesbanken, eine klare Projektstruktur mit verbindlichen Zeitplänen und eine transparente und einheitliche Kommunikation auf allen Ebenen haben es ermöglicht, das Projekt voranzutreiben.

Antragsverfahren

Auf Seiten der Aufsichtsbehörden war neben der Finanzmarktaufsicht (FMA) und der Österreichischen Nationalbank (OeNB) aufgrund der direkten Zuständigkeit für die Beaufsichtigung zweier Institute der Raiffeisen Bankengruppe auch die Europäische Zentralbank für die Genehmigungen der IPS-Bescheide verantwortlich. Für die Anerkennung als Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungssystem war dagegen die FMA alleine zuständig.

Binnen kürzester Zeit wurden sektorintern die vertraglichen Grundlagen für das einheitliche Institutssicherungssystem und für die neue
Betreibergesellschaft, Österreichische Raiffeisen-Sicherungseinrichtung eGen, ausgearbeitet. Parallel zu den sektorinternen Verhandlungen wurden Gespräche mit den Aufsichtsbehörden zur Erwartungshaltung für Mindestanforderungen in den vertraglichen Grundlagen geführt. Die
Abstimmungsrunden erfolgten in kürzesten Abständen, um das angepeilte Ziel einer möglichst raschen Errichtung einer Raiffeisen-Einlagensicherung umzusetzen.

Die Aufsichtsbehörden hatten auch ein Interesse an einer raschen Umsetzung dieses Großprojekts: Ein einheitliches Haftungssystem für die Raiffeisen Bankengruppe hatte natürlich auch einen Reiz für die Aufseher im Hinblick auf eine erhöhte Einheitlichkeit der rechtlichen Grundlagen im Vergleich zu sieben Systemen. Darüber hinaus war die exponentiell gestiegene Risikotragfähigkeit des neuen IPS aber sicherlich das maßgeblichste Argument für die Befürwortung des Projekts aus der Sicht der Aufsichtsbehörden.

An dieser Stelle muss auch den Aufsichtsbehörden für die professionelle Abwicklung gedankt werden. Von Beginn an wurden realistische Zeitpläne erstellt, die bis zu den Genehmigungen von den öffentlichen Stellen auch eingehalten wurden. Dass sich die Vorstellungen über die Ausgestaltung der vertraglichen Details zwischen der Raiffeisen Bankengruppe und den Aufsichtsbehörden teilweise nicht deckten, liegt in der Natur der Sache. Die Aufsichtsbehörden haben sich aber während des Antragsverfahrens stets fair verhalten und in maximaler Transparenz das Verfahren abgewickelt.

Nach Ausräumung sämtlicher Bedenken konnten Mitte März 2021 die von allen Banken unterfertigten Verträge den Aufsichtsbehörden übermittelt werden. Ende Mai 2021 schließlich wurden die IPS-Genehmigungen und die Anerkennung des IPS als Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungssystem zugestellt.

Austritt aus der Einlagensicherung Austria

Für den Wechsel einer Sicherungseinrichtung ist in der EU-Richtlinie und im ESAEG ein Verfahren festgelegt. So haben die Institute, die in eine andere Sicherungseinrichtung wechseln wollen, diese Wechselabsicht mindestens sechs Monate im Voraus der bisherigen Sicherungseinrichtung und der FMA mitzuteilen. Daher wurden noch am Tag der Zustellung der relevanten Bescheide Ende Mai bereits die Wechselabsichtserklärungen an die Einlagensicherung Austria und FMA versandt. Dadurch begann die sechsmonatige Frist zu laufen, die vor einem Wechsel gesetzlich abzuwarten ist. Mit 29. November 2021 lief diese Frist ab. Mit diesem Tag wurden die Anteile an der Einlagensicherung Austria von den Raiffeisenbanken an den Fachverband der Raiffeisenbanken abgetreten und der Austritt aus der Einlagensicherung Austria vollzogen. Seit 29. November 2021 ist somit die Österreichische Raiffeisen-Sicherungseinrichtung die zuständige Einlagensicherung für alle Raiffeisenbanken.

Für den Wechsel einer Sicherungseinrichtung sieht die EU-Richtlinie und das ESAEG aber auch monetäre Regelungen vor. So ist die bisherige Sicherungseinrichtung verpflichtet, innerhalb von zwei Monaten alle Beiträge, die in den letzten 12 Monaten vor Ende der Mitgliedschaft geleistet wurden, an die neue Sicherungseinrichtung zu übertragen. Mit dieser Regelung versucht der Gesetzgeber, die unterschiedlichen Interessen der Sicherungseinrichtungen auszugleichen: Zum einen das Interesse der austretenden Institute, ihre Einleger zu schützen und eine gewisse Grundausstattung aus den bereits geleisteten Beiträgen bei der Gründung vorweisen zu können. Auf der anderen Seite das Interesse der bisherigen Sicherungseinrichtung, einen nicht zu großen Teil des bisher gefüllten Einlagensicherungsfonds an die neue Sicherungseinrichtung überweisen zu müssen. Bis spätestens Ende Jänner 2022 ist daher die Einlagensicherung Austria verpflichtet, die von den Raiffeisenbanken erhaltenen Beiträge in ihren Einlagensicherungsfonds an die ÖRS zu überweisen.

Die Gründe für eine Raiffeisen-Einlagensicherung

Raiffeisen hat seit Jahrzehnten funktionierende Früherkennungs- und Haftungssysteme eta­bliert, die ein frühzeitiges Eingreifen ermöglichen. Auch hat Raiffeisen eine besonders strenge Revision eingerichtet, die intensiver und genauer als herkömmliche Wirtschaftsprüfer prüft. Neben allen rechtlichen regulatorischen Vorgaben ist aber die gemeinsame Marke der Hauptgrund für eine gegenseitige Hilfeleistung in der Raiffeisen Bankengruppe. Die Hilfe zur Selbsthilfe ist keine leere Wortphrase des Gründungsvaters Friedrich Wilhelm Raiffeisen. Vielmehr entspricht es unserer DNA, uns selbst zu helfen bevor wir Hilfe von außen in Anspruch nehmen. Und eines ist auch allen klar: Die Reputation des gemeinsamen Giebelkreuzes verpflichtet alle Raiffeisenbanken, sich intern zu helfen. Damit ist allen Beteiligten klar, dass bei Raiffeisen niemals ein Einlagensicherungsfall auftreten wird. Andererseits mussten aber die Raiffeisenbanken als bei weitem größte Bankengruppe dieses Landes mit bis zu 35% aller gedeckten Einlagen in Österreich bei allen Einlagensicherungsfällen in der Einlagensicherung Austria beinahe die Hälfte aller Kosten tragen. Dass diese Ausgangslage keine besonders ausgewogene Situation darstellt, muss nicht näher erklärt werden.

Folgen

Für die Kunden ändert sich überhaupt nichts. Nach wie vor gilt für alle Bankkunden in Österreich, dass ihre gedeckten Einlagen bis zu 100.000 Euro pro Bank gesichert sind, egal in welcher Einlagensicherung ihre Bank Mitglied ist. Im internen Verhältnis zwischen den Einlagensicherungen wird aber dem Verursacherprinzip künftig stärker Rechnung getragen: Zunächst soll in einem Einlagensicherungsfall jene Einlagensicherung die Einleger aus ihren eigenen Mitteln entschädigen, dem die betroffene Bank angehört. Erst wenn die Mittel der erstbetroffenen Sicherungseinrichtung nicht mehr ausreichen, sind die anderen Sicherungseinrichtungen zur Unterstützung verpflichtet. Dieses System vermeidet nicht nur „moral hazard“, sondern stellt auch sicher, dass nicht alle Banken automatisch bei einem Einlagensicherungsfall anderer Sicherungseinrichtungen ab dem ersten Euro mitzahlen.

Weitere Informationen

Für weitere Informationen besuchen Sie bitte die Homepage www.raiffeisen-einlagensicherung.at. Auf dieser Website finden Sie umfassende Informationen über sämtliche Aspekte der Einlagensicherung.

Dr. Johannes Rehulka ist Geschäftsführer im Fachverband der Raiffeisenbanken und Vorstandsmitglied der Österreichischen Raiffeisen-Sicherungseinrichtung eGen.

01.12.2021 - Bankeninsolvenz