Digitaler Euro: Chancen und Herausforderungen

Tanja Müller-Ziegler, Heft 11/2024

Wirtschaft und Gesellschaft erleben einen beschleunigten digitalen Wandel und die Bedeutung europäischer Souveränität steigt. Dies sind nachvollziehbare Gründe der Europäischen Zentralbank (EZB), auch den Euro für das 21. Jahrhundert fit zu machen. Die politischen Überlegungen zur Ausgestaltung eines digitalen Euro nehmen an Fahrt auf und sind auf Umsetzbarkeit zu bewerten. Eine vom Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR)  beauftragte Studie des Beratungshauses PaySys Consultancy unterzieht die politischen Ideen einem Praxistest und bringt wichtige Erkenntnisse in die Debatte ein.

Kern der aktuellen Pläne des Eurosystems und des Regulierungsvorschlags der EU-Kommission ist, den digitalen Euro nicht nur als Zahlungsmittel in Ergänzung zum Bargeld, sondern als zusätzliches staatliches Zahlungssystem neben dem bestehenden privaten Zahlungsverkehr auszugestalten.

 

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Welche Konsequenzen hätte eine Umsetzung dieser Ideen für die verschiedenen Marktteilnehmer? Welchen Mehrwert würde ein digitaler Euro in dieser Konzeption für Handel und Verbraucher stiften? Wie praxistauglich sind die Vorschläge? Der BVR hat hierzu eine Analyse beim Unternehmen PaySys Consultancy unter dem Titel „Der Digitale Euro aus Sicht des Verbrauchers, des Handels und der Industrie“ beauftragt, die gemeinsam mit zwei auf Zahlungsverkehr spezialisierten Professoren alle politischen Vorschläge, Gesetzesentwürfe und weitere Überlegungen zum digitalen Euro einem Realitätscheck unterzogen hat. 

Die Ergebnisse der Studie beleuchten sowohl die potenziellen Vorteile als auch die erheblichen Herausforderungen, die mit der Einführung eines digitalen Euro verbunden wären. Im Kern zieht die PaySys-Studie die Bilanz, dass der digitale Euro, wenn er den aktuellen politischen Vorschlägen folgend als Zahlungssystem ausgestaltet würde, kaum Mehrwerte für Verbraucher und Handel liefert. Vielmehr bezweifeln die Studienautoren, dass Verbraucher und Handel das Produkt aufgrund der hohen Komplexität überhaupt verstehen, geschweige denn nutzen würden. Es wäre eine erhöhte Komplexität des Zahlungsverkehrs zu erwarten, die sowohl die Kosten als auch die Wettbewerbsfähigkeit Europas negativ beeinflusst. Als Zahlungsmittel – also als digitale Form des bestehenden Bargelds – kann der digitale Euro jedoch echte Mehrwerte schaffen.

Digitaler Euro muss eine echte Innovation sein

Ein zentraler Aspekt der Studie ist die Frage nach dem Mehrwert, den ein digitaler Euro für die Endverbraucher und den Handel bieten könnte. Derzeit nutzen Verbraucher in Europa eine Vielzahl von Zahlungsmethoden, die sich bereits etabliert haben und reibungslos funktionieren. Zahlverfahren wie die deutsche „girocard“ sind dabei nicht nur beliebt bei Verbrauchern, sondern ermöglichen auch dem Handel eine kosteneffiziente Abwicklung von Zahlungen. Die Einführung eines weiteren Zahlungssystems, wie es nach aktuellen Plänen der digitale Euro darstellt, müsste daher einen klaren Vorteil bieten, um im umkämpften Zahlungsverkehrsmarkt Akzeptanz zu finden.

Übersicht EPI/wero

Effizienz statt Komplexität gefragt

Laut der PaySys-Studie mangelt es den aktuellen Vorschlägen jedoch an einem solchen Mehrwert. Die Autoren heben hervor, dass der digitale Euro in seiner geplanten Ausgestaltung keine signifikanten Vorteile gegenüber bestehenden Zahlungsmethoden bietet. Nutzer (Handel und Verbraucher gleichermaßen) haben also keinen Anreiz, den digitalen Euro verstärkt zu nutzen. Vielmehr könnte er die Zahlungslandschaft unnötig verkomplizieren. Beispielsweise würde die Anzahl der an einer Transaktion beteiligten Parteien von vier (Zahler, Zahlungsempfänger und deren jeweilige Zahlungsdienstleister) auf bis zu acht steigen, was die Abwicklung von Zahlungen erschwert und verteuert. Diese erhöhte Komplexität könnte insbesondere kleinere Unternehmen und Einzelhändler vor erhebliche Herausforderungen stellen, da sie gezwungen wären, ihre Zahlungssysteme anzupassen und in neue Technologien zu investieren. Nur wenn ein digitaler Euro erkennbare Mehrwerte für alle Seiten bringt, können die immensen Investitionskosten – welche letztlich von allen Seiten getragen werden müssen – gerechtfertigt werden.

Anonymität und Datenschutz für Verbraucher essenziell

Die Studie weist darauf hin, dass mobile Zahlungen, die im Fokus der bisherigen Pläne stehen, in Europa noch nicht weit verbreitet sind. Die einseitige Ausrichtung auf das Smartphone als einzige Geldbörse für einen digitalen Euro könnte daher viele Verbraucher ausschließen und das Potenzial des digitalen Euro erheblich einschränken. Zudem äußern die Autoren der Studie Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes und der Datensicherheit, die bei digitalen Zahlungsmethoden eine zentrale Rolle spielen. Bargeldgleiche Anonymität und Privatsphäre wären ein echter Mehrwert eines digitalen Euro. Eine Funktionalität, die heute kein digitales Zahlverfahren bieten kann. Das müsste jedoch unumkehrbar implementiert werden, sodass auch zukünftig eine etwaige Nachverfolgung oder gar Überwachung von Zahlungsströmen technisch absolut ausgeschlossen ist. Ein Punkt, der derzeit offen ist.

Technische Herausforderungen und wirtschaftliche Auswirkungen

Die Einführung des digitalen Euro nach den derzeitigen politischen Vorstellungen würde erhebliche technische Umstellungen erfordern, sowohl im Handel als auch bei den Banken und Zahlungsdienstleistern. Die PaySys-Studie betont, dass diese Umstellungen mit hohen Kosten verbunden wären, die am Ende von Verbrauchern getragen werden müssten. Dies könnte dazu führen, dass der digitale Euro im Vergleich zu bestehenden Zahlungsmethoden zwar auf den ersten Blick günstiger erscheint, im Gesamtbild jedoch Investitions- und Betriebskosten in Milliardenhöhe verursacht, die nicht eine Partei alleine wird tragen können.

Ein weiterer offener Punkt ist das geplante Vergütungsmodell für den digitalen Euro. Laut den Vorschlägen der EU-Kommission sollen die Gebühren für die Nutzung des digitalen Euro unterhalb aktueller Marktpreise liegen. Die Autoren der PaySys-Studie warnen jedoch, dass dies zu einer Verdrängung bestehender, effizienter Zahlungssysteme führen könnte. Insbesondere europäische Anbieter könnten dadurch geschwächt werden, was langfristig die Souveränität des europäischen Zahlungsverkehrs gefährden würde. Das Verdrängen europäischer Zahlverfahren könnte gleichzeitig US-Unternehmen stärken. Diese Effekte konterkarieren geradezu das von der EU gesetzte Ziel eines starken und eigenständigen Europäischen Binnenmarkts.

Die technischen Herausforderungen betreffen auch die Sicherheit und Stabilität des Systems. Ein digitaler Euro müsste höchsten Sicherheitsstandards genügen, um Vertrauen bei den Nutzern zu schaffen. Dies erfordert nicht nur erhebliche Investitionen in IT-Infrastruktur und Cybersicherheit, sondern auch klare Regelungen hinsichtlich der Haftung bei Missbrauch oder technischen Ausfällen. In diesem Zusammenhang bleibt auch die Frage nach der Offline-Nutzbarkeit des digitalen Euro offen, die insbesondere für Regionen mit unzureichender Internetabdeckung relevant ist.

Die Studie warnt vor den möglichen negativen Auswirkungen dieser Entwicklung auf die europäische Zahlungslandschaft. Sollte der digitale Euro als Konkurrenzprodukt zu bestehenden Zahlungsmethoden auftreten, könnte dies zu einer Fragmentierung des Marktes führen und die Effizienz des Zahlungsverkehrs beeinträchtigen. Insbesondere kleinere Anbieter könnten darunter leiden, da sie möglicherweise nicht über die Ressourcen verfügen, um die erforderlichen Anpassungen vorzunehmen und in neue Technologien zu investieren.

Regulatorische Rahmenbedin­gungen und Inkonsistenzen

Die Autoren der Studie betonen außerdem die Bedeutung der regulatorischen Rahmenbedingungen für den digitalen Euro. Sie bemängeln, dass es derzeit erhebliche Inkonsistenzen zwischen den verschiedenen Dokumenten des Eurosystems und dem Regulierungsvorschlag der EU-Kommission gibt. Diese Inkonsistenzen betreffen sowohl technische als auch rechtliche Aspekte und könnten die erfolgreiche Einführung des digitalen Euro erheblich erschweren.

Ein zentraler Punkt hierbei ist die Frage der Haftung. Der digitale Euro wäre – je nach Ausgestaltung – ein staatlich herausgegebenes Zahlungsmittel oder Zahlverfahren, das parallel zu den bestehenden privatwirtschaftlichen Zahlungssystemen operieren würde. Dies wirft Fragen hinsichtlich der Haftungsverteilung bei Missbrauch oder technischen Fehlern auf. Die Studie betont, dass diese Fragen dringend geklärt werden müssen, um Rechtssicherheit zu schaffen und das Vertrauen der Nutzer in den digitalen Euro zu gewährleisten.

Ergänzung oder Konkurrenz zum Bargeld?

Ein zentrales Ziel der EZB ist es, den digitalen Euro als Ergänzung zum Bargeld und nicht als dessen Ersatz einzuführen. Daher hat die EU-Kommission in einem Single-Currency-Package neben dem Gesetzesvorschlag zum digitalen Euro auch die Stärkung des Euro-Bargelds verankert. So wird sichergestellt, dass Euro-Bargeld weiterhin als gesetzliches Zahlungsmittel zur Verfügung steht. Bargeld ist ein bewährtes, beliebtes und vertrauenswürdiges Zahlungsmittel. Es muss den Bürgerinnen und Bürgern auch zukünftig zur Verfügung stehen.

Noch langer Weg für erfolgreichen digitalen Euro

Die Ergebnisse der PaySys-Studie zeichnen ein differenziertes Bild der aktuellen Pläne zur Einführung des digitalen Euro. Während die Idee eines digitalen Zentralbankgeldes grundsätzlich vielversprechend ist, zeigt die Studie, dass die bisherigen Vorschläge in vielerlei Hinsicht unzureichend sind. Insbesondere der fehlende Mehrwert für Verbraucher und Handel sowie die erhöhte Komplexität des Zahlungsverkehrs stellen erhebliche Herausforderungen dar, die vor einer möglichen Einführung des digitalen Euro gelöst werden müssen.

Die Autoren der Studie plädieren dafür, die Pläne für den digitalen Euro sorgfältig zu überarbeiten und stärker an den tatsächlichen Bedürfnissen der Nutzer auszurichten. Eine engere Einbindung der Kreditwirtschaft und eine Klärung der offenen regulatorischen Fragen sind dabei unerlässlich, um sicherzustellen, dass der digitale Euro zu einem integralen und nützlichen Bestandteil des europä­ischen Zahlungsverkehrssystems wird.

Eckpunkte für einen erfolgreichen digitalen Euro

Die EZB möchte mit dem digitalen Euro auf die zunehmende Digitalisierung in Wirtschaft und Gesellschaft reagieren. Sie möchte die europä­ische Souveränität stärken und Verbrauchern den Zugang zu einer digitalen Form von Zentralbankgeld ermöglichen, den sie heute nur in Form des physischen Bargelds haben. All diese Ziele sind wichtig und richtig. Damit der digitale Euro jedoch ein Erfolg wird, muss dieser – so wie auch Euro-Bargeld – ein Zahlungsmittel werden und kein Zahlverfahren. Als Zahlungsmittel im Sinne von digitalen Banknoten könnte der digitale Euro in europäische Zahlungsverkehrslösungen wie zum Beispiel „Wero“ des europäische Zahlungssystems EPI (European Payments Initiative) integriert werden. Nutzerinnen und Nutzer können dann über ihnen vertraute Lösungen die neue digitale Form des Bargelds nutzen, um damit im digitalen Raum komplett anonym und ohne die Notwendigkeit einer Internetverbindung zu bezahlen. Diese Integration stellt sicher, dass europäische Verfahren, die bei Handel und Verbrauchern große Beliebtheit genießen, gestärkt anstatt geschwächt werden. Nur  wenn der digitale Euro Mehrwerte für alle Stakeholder schafft, wird er sich durchsetzen. Der BVR begleitet und gestaltet daher den Prozess auf allen Ebenen intensiv mit.

Blick nach vorne

In den kommenden Monaten werden die Verhandlungen über den finalen Gesetzesvorschlag zum digitalen Euro in Brüssel weitergeführt. Die Studie bietet in diesem Kontext wertvolle Hinweise darauf, an welchen Stellen noch Verbesserungen notwendig sind. Eine erfolgreiche Einführung des digitalen Euro erfordert nicht nur eine klare strategische Ausrichtung, sondern auch die Berücksichtigung der vielfältigen Anforderungen der unterschiedlichen Marktteilnehmer. Nur so kann der digitale Euro langfristig Akzeptanz finden und einen positiven Beitrag zur Weiterentwicklung des europä­ischen Zahlungsverkehrs leisten.

Tanja Müller-Ziegler ist Vorstandsmitglied des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR).

01.11.2024 - Raiffeisenblatt Online