Warum in Linz über hundert Technologieunternehmen auf einer 1,8 Kilometer langen Strecke siedeln.
Wo die Zukunft beginnt
Die Entwicklung der „Digital Mile“ in Linz ist eine über Oberösterreichs Grenzen hinaus bemerkenswerte Erfolgsgeschichte. Mehr als hundert Technologiefirmen und 3.500 Spezialistinnen und Spezialisten haben sich auf einer nur 1,8 Kilometer langen Strecke in Hafennähe angesiedelt.
Text: Paul Billisich
Es fällt einem schwer, nicht die viel strapazierte Phrase über die oberösterreichische Hauptstadt zu verwenden, ja, nämlich die über die Lokalisation von Anfängen – noch dazu, wenn sogar die Fakten dazu stimmen. Sie hat tatsächlich in Linz begonnen, die Digitalisierung des Landes – abseits von Wien, wo mit dem Platzen der sogenannten Dotcom-Blase im März 2002 erste IT-Träume mit einem bösen Erwachen endeten.
In Linz hingegen ging man es am Beginn langsamer und damit solider an. Nicht in ganz Linz, genauer gesagt auf einem 1,8 Kilometer langen Straßenstück zwischen der alten Tabakfabrik, einst Europas größte, vorbei am Techcenter bis zur Neuen Werft und zu dem neuen Büro- und Dienstleistungskomplex Hafenportal. Mit Stand heute sind hier mehr als hundert IT-Unternehmen angesiedelt, alle zusammen mit rund 3.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.
Im Jahr 2000, in dem übrigens die ersten USB-Sticks mit acht Megabyte auf den Markt kamen, siedelten sich zwischen der Tabakfabrik und dem Hafen die ersten IT-Unternehmen an. Die Mieten waren günstig, der Platz vorhanden. Im Laufe der ersten Jahre lebte man so neben sich her, doch nach und nach stellten die versammelten Technologiefirmen rasch fest, dass sie alle ähnliche Bedürfnisse haben: Kinderbetreuung, Deutschkurse für Expats, Beratungen über Förderungen, Öffentlichkeitsarbeit, Werbung, Vernetzungstreffen, Fortbildung. Aber es brauchte jemanden, der aus gemeinsamen Interessen und Bedürfnissen auch eine funktionierende Community formt.
Auftritt Georg Spiesberger, Geschäftsführer des Tech Harbor, Büro- und Beratungscenter für Start-ups im Eigentum der Business Upper Austria, der Stadt Linz sowie der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft FFG: Spiesberger ist heute allgemein anerkannt der „Mister Digital Mile“. Er berichtet, dass es sogar in Brüssel aufgefallen wäre, „dass hier Firmen mit- und nicht gegeneinander arbeiten“. Im Jahr 2019 war das anders. Damals sei das bestimmende Thema in IT-Unternehmen, nicht nur in Linz, gewesen: Wir finden keine Fachkräfte mehr. Man versuchte auch, einander die besten Leute abzuwerben. Also habe er, erzählt Spiesberger, alle Geschäftsführer der in der Gegend angesiedelten Firmen eingeladen und sie mit dem Statement begrüßt: „Wir können uns die Köpfe einschlagen oder wir können gemeinsam etwas machen.“ Man habe sich schließlich für Letzteres entschieden. Das sei der „Startschuss“ zur Linzer „Digital Mile“ als Initiative und auch als Marke gewesen.
Die Deutschkurse für die Expats waren der erste Schritt auf dem Erfolgsweg. „Es mussten nicht siebzig Leute ins WIFI fahren, sondern wir haben die Trainer zu uns geholt, zu Kursen, die genau so gestaltet wurden, wie sie unsere Leute brauchen“, so Spiesberger über den doppelten Nutzen. Der nächste Schritt für das Zusammenwachsen war dann eine gemeinsame Kinderbetreuung in den Sommerferien 2019, die „Waldwochen in Kirchschlag“. Das klingt zwar unspektakulär, ist aber für Eltern in den Unternehmen eine enorme Entlastung, um neun Wochen Ferien durchzustehen. Dann folgte ein Führungskräfte-Lehrgang in Zusammenarbeit mit der Fachhochschule Oberösterreich, schon in der Coronapandemie, im Oktober 2020. Und: Die Waldwochen für die Kids wurden um Tech-Camps erweitert. „Bei den HTLs oder beim CoderDojo (Anm.: Club mit Gratisprogrammierkursen) haben wir damit offene Türen eingerannt“, so Spiesberger. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Digital-Mile-Unternehmen sind als Mentorinnen und Mentoren dabei.
Der harte Kern
Apropos Unternehmen: Der Kern der Digital Mile sind eigentlich nur neun der mittlerweile mehr als hundert Firmen – namentlich: der 1999 in Wels gegründete und heute börsennotierte Gaming- und Sportwettenanbieter bet-at-home mit rund sechs Millionen registrierter Kunden; die auf die digitale Transformation von Unternehmen spezialisierte Beratungsfirma Cloudflight; weiters der Observability- und Monitoring-Software-Anbieter Dynatrace; Österreich größtes Stellensuchportal karriere.at, der Internet-of-Things- sowie Embedded-Computing-Spezialist Kontron; der auf Zoll- und Handels-Compliance spezialisierte und auf dem Gebiet marktführende Softwareanbieter MIC, der E-Business-Software-Spezialist Netural, der Saars-Anbieter im Bereich Performance-Marketing Smarter Ecommerce GmbH und der erwähnte Tech Harbor.
Seit heuer ist auch Apple in der Digital Mile vertreten. Der Gigant aus Cupertino hatte die Forschungsaktivitäten von Intel in Linz gekauft, in DMCE umbenannt, jetzt wird dem Vernehmen nach groß ausgebaut. Einige der Digital-Mile-Firmen sind aber auch Champions, wenngleich etwas mehr hidden als die Firma mit dem angebissenen Apfel
im Logo. Dynatrace zum Beispiel wurde 2005 in Linz unter anderem von Bernd Greifeneder gegründet, der heute noch immer als Chief Technology Officer an Bord ist. Seit 2014 gehört Dynatrace dem US-Beteiligungsunternehmen Thoma Bravo, ist seit sechs Jahren in New York börsennotiert und hat den Hauptfirmensitz in Massachusets. Es gilt als Weltmarktführer für Software Intelligence. Seit dem Geschäftsjahr 2023 (Bilanzstichtag: 31. März) wurde die Umsatzmilliarde überschritten, heuer sind es 1,36 Milliarden Euro Umsatz, für die kommende Periode wird wieder ein Wachstum von mindestens 15 Prozent prognostiziert. CEO ist der Tech-Industrie-Veteran Rick McConnell. Er sagte bei der Präsentation der Zahlen: „Wir sehen weiterhin eine wachsende Zahl von Unternehmen, die oft ineffektive und kostspielige Überwachungstools in einer einheitlichen Observability-Plattform konsolidieren möchten. Wir glauben, dass unsere kontextbezogenen Analysen, unsere KI-Führungsposition und unsere Automatisierung uns vom Markt abheben und uns in die Lage versetzen, diese Chance zu nutzen.“ Industrie-Schwergewichte wie Dynatrace und die anderen im Leading Team der Digital Mile zu haben, kann schon einiges bewegen. Das technologische und kreative Herz der globalen Produktentwicklung von Dynatrace schlägt am Gründungsstandort Linz, heißt es.
Neues Engineering Headquarter
Seit März dieses Jahres baut der Konzern ein neues Campusgebäude für die rund 1.500 internationalen Softwareentwickler und hoch qualifizierten Experten. Es soll bis Ende 2025 fertig sein. Zum Baustart hieß es: „Das neue Engineering Headquarter wird zum Aushängeschild der digitalen Meile zwischen Tabakfabrik und Hafen.“ Linz werde damit auch international eine noch stärkere Sogwirkung als bisher auf Talente entfalten und seine Rolle als „österreichisches Silicon Valley“ weiter ausbauen. Gründer Greifeneder: „Der neue Dynatrace-Campus ist ganz bewusst als offener Dreh- und Angelpunkt für die heimische und internationale IT-, KI- und Security-Community konzipiert. Ich bin überzeugt, dass wir als globaler Marktführer mit einem Softwareprodukt made in Europe sowie die Stadt Linz als aufstrebender Digitalisierungs-Hotspot davon gleichermaßen profitieren werden.“
Eine spannende Entwicklung, die typisch ist für ein Digital-Mile-Unternehmen ist auch smec, die Smarter Ecommerce GmbH, 2007 von zwei Linzer Studenten gegründet. Ihre Idee, im Jahr, als der Onlinehandel so richtig Fahrt aufnimmt: ein Tool zur Automatisierung von Online-Textanzeigen. 2009 war die AdEngine dann marktreif, Gewinne stellen sich 2013 ein. 2017 zieht smec in die Tabakfabrik ein, 2019 und 2020 eröffnet man Büros in London und Wien. Aktuell zählt smec rund 170 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Kunden – Onlinehändler – befinden sich in 50 Ländern. In der Tabakfabrik zählt smec zu den größten Mietern. Die Büros sind schlicht cool. Jan Radanitsch, mit Christian Gorbach einer der beiden Gründer von smec, gab einige Zeit nach dem Umzug ins modern adaptierte historische Gebäude zu Protokoll: „In der Tabakfabrik Linz hat sich der Campus-Charakter stark weiterentwickelt. Ich mag das Feeling, nach Feierabend nach draußen zu gehen, wo das Stadtleben auf mich wartet.“