Ökonomisch fruchtbare Nachbarschaft
Nur wenige Länder Europas sind durch ihre Geschichte kulturell und wirtschaftlich so eng verbunden wie Österreich und Tschechien. Der Fall des Eisernen Vorhangs und der EU-Beitritt Tschechiens haben diese bilateralen Beziehungen gestärkt. 35 Jahre nach der Grenzöffnung ist es Zeit für eine Rückschau – und einen Ausblick auf die Zukunft.
Wullowitz, Dezember 1989: Josef Ratzenböck, damals oberösterreichischer Landeshauptmann, und Miroslav Senkyr, Kreisvorsitzender Südböhmens, durchtrennen den Stacheldrahtzaun an der tschechisch-österreichischen Grenze. Es markiert den Beginn einer Zeitenwende. Nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Ostblocks und dem Fall des Eisernen Vorhangs definieren sich Mittel- und Osteuropa neu. 2004 tritt Tschechien der Europäischen Union bei. Und trotz aller mit der EU-Osterweiterung verbundenen Herausforderungen: Die EU-Integration fördert das Wachstum. Die bilateralen Beziehungen zwischen Österreich und Tschechien gewinnen eine neue Qualität. Rückblickend lässt sich sagen: Unter den westlichen Ländern war Österreich einer der größten Gewinner der Ostöffnung. Das Institut für Wirtschaftsforschung hat berechnet, dass das heimische Wirtschaftswachstum von 1989 bis 2009 pro Jahr um bis zu einen Prozentpunkt höher ausgefallen ist, als es ohne politische Umwälzungen der Fall gewesen wäre.
Raiffeisen Oberösterreich nutzte Momentum
„Das neue Europa, das sich mit dem Ende des Kalten Krieges unter Kanzler Helmut Kohl und Präsident Michail Gorbatschow eröffnete, bot völlig neue Chancen für die Menschen und die Wirtschaft“, resümiert Heinrich Schaller, Generaldirektor der Raiffeisenlandesbank Oberösterreich. Aus gutem Grund blickt er zufrieden auf die Rolle seines Geldinstituts in jener Umbruchsphase: „Raiffeisen Oberösterreich hat die Möglichkeit eines neuen Heimmarkts in Tschechien sowie das Aufstreben der Region Bayern-Böhmen und Oberösterreich früh erkannt und war die erste österreichische Bank, die die Grenzöffnung genutzt hat, um in den tschechischen Markt einzutreten. Uns verbinden ja nicht nur historische Gemeinsamkeiten mit Bayern und Böhmen, sondern auch wirtschaftliche Traditionen.“ Dabei habe man auf eine konstruktiv-expansive Linie gesetzt. „Wir haben in Tschechien ein Netzwerk von Repräsentanzen aufgebaut, um direkt vor Ort Dienstleistungen anzubieten und die Nähe zu unseren Kunden in dieser neuen Region zu gewährleisten.“
Pluspunkt geografische Nähe
Auch für den Grieskirchner Landtechnikhersteller Pöttinger zählt Tschechien zu den zehn wichtigsten Märkten. Im Bereich Grünlandtechnik wie auch bei Ackerbaumaschinen hat er dort hohe Marktanteile. Darüber hinaus befindet sich Pöttingers zweitgrößtes Produktionswerk und Zentrum für Bodenbearbeitung im tschechischen Vodˇnany. „Hier sind ein Teil der Forschung & Entwicklung sowie Validierung und Versuch angesiedelt“, schildert Gregor Dietachmayr, Sprecher der Geschäftsführung. „So können wir Maschinen unter unterschiedlichen Rahmenbedingungen testen, denn die Landwirtschaft in Tschechien ist anders strukturiert als in Österreich, wo relativ kleine Betriebe überwiegen.“ Zudem erleichtere die geografische Nähe den Mitarbeitern die länderübergreifende Abstimmung. Den Standort Tschechien will man weiterentwickeln. „Investtionen in Vodˇnany hatten bisher immer positive Auswirkungen auf das gesamte Unternehmen.“
Bedeutender Handelspartner
Der Status quo bestätigt den seinerzeitigen Weitblick: „Bei Dienstleistern wie Banken oder Versicherungen zählen österreichische Unternehmen heute zu den allerwichtigsten Marktspielern in Tschechien und damit zur ,kritischen Infrastruktur‘“, sagt Roman Rauch, Wirtschaftsdelegierter der WKO in Prag. In den vergangenen 35 Jahren gründeten heimische Firmen etwa 1.800 operative Niederlassungen in Tschechien und investierten dabei knapp 15 Milliarden Euro. „Österreichische Niederlassungen beschäftigen direkt etwa 100.000 Personen und sind damit Tschechiens größter ,ausländischer‘ Arbeitgeber.“
Aktuell sei Tschechien der weltweit sechstwichtigste Außenhandelspartner für die österreichische Wirtschaft, im CEE-Raum sogar die Nummer eins. „Als drittgrößter Autoproduzent Europas und einer der bedeutendsten Zulieferer für – vor allem deutsche – Maschinen- und Anlagenbauer sowie für den Elektrotechnik- und Elektroniksektor nimmt Tschechien österreichische Lieferanten sozusagen huckepack auf verschiedenste Auslandsmärkte mit.“