China bewegt sich mit unterschiedlichen Geschweindigkeiten

Max Zenglein, Chefökonom des Forschungsinstituts Merics, analysiert im Interview den Umbruch der chinesischen Wirtschaft und die Chancen für europäische Unternehmen.

Interview: Robert Prazak

 

business: Gibt es derzeit eine Neuausrichtung der chinesischen Wirtschaft?

Max Zenglein: Wir sehen schon seit Jahren eine Umstellung des chinesischen Wirtschaftsmodells im Allgemeinen und speziell bei der Frage, wie sich China mit der Welt vernetzt: Industrie, Technologie und Innovation sind nun die Grundpfeiler der chinesischen Wirtschaft. China strebt in diesen Bereichen Autarkie an und will eine globale Industriesupermacht werden. Der Trend verfestigt sich seit zehn Jahren, das wollte man nicht wahrhaben. Jetzt wird es im Automobilsektor deutlich, wie rasch China zum dominierenden Faktor werden kann. Das Land trimmt die Wertschöpfungskette hoch, nicht nur in dieser Branche, sondern auch in vielen anderen, etwa bei Chemie.

 

Sorgen diese Umstellungen im Land für Unruhe?

Zenglein: Der Druck steigt, da es schwer ist, diese Umstellung der Mittelschicht in China zu erklären. Außerdem gibt es hohe Arbeitslosigkeit, vor allem bei Jugendlichen, und die Löhne steigen nicht. Das Narrativ, das die Partei verkaufen will: „Schnallt den Gürtel enger, beklagt euch nicht!“ Das wird nicht gerade enthusiastisch aufgenommen. Diesen Widerstand zu mildern, ist gar nicht so einfach, nicht mal in einer Autokratie.

 

Es gibt also Herausforderungen im Land?

Zenglein: Wir sehen ein China, das sich mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten bewegt. Der Konsum strauchelt, was vor allem am Abschwung im Immobiliensektor liegt. Immobilien sind die wichtigste Anlageklasse in der chinesischen Bevölkerung. Nun gibt es große Unsicherheit im Wohlstandsempfinden der chinesischen Mittelschicht. Das ist aber alles Teil einer strategischen Umstellung, in deren Zuge die Partei sagt, welche die relevanten Bereiche sind.

 

Ein heikles Thema ist der Zollstreit zwischen China und Europa, vor allem Strafzölle für Autos. 

Zenglein: Importzölle sind eine Herausforderung. Auf der einen Seite hat Europa Erfahrung mit Abhängigkeiten, etwa bei Energie, und versucht gegenzusteuern. Auf der anderen Seite dominiert China heute nicht nur bei Solarzellen, sondern zunehmend auch bei Windenergie.

 

Wie beurteilen Sie denn generell das Verhältnis zwischen China und der Europäischen Union?

Zenglein: Bei der Diskussion um Importzölle werden Diskrepanzen auf mehreren Ebenen deutlich: Zwischen der EU und China, zwischen einzelnen Ländern der EU und zwischen politischen beziehungsweise wirtschaftlichen Zielen. Es gibt aber auch Versuche, sich den neuen Herausforderungen zu stellen. China wird zunehmend Europas Konkurrent, nicht nur bei Autos, sondern etwa auch in der Medizintechnik und vielen anderen Bereichen.

 

Was können Unternehmen in dieser Situation tun?

Zenglein: Es gibt nicht die eine Lösung für Unternehmen oder Branchen. Die alten Großkonzerne, die in China Erfolg hatten, stehen vor der Wachablösung. Es entstehen aber neue Gelegenheiten für Unternehmen, sich zu positionieren. Da gibt es bereits Erfolgsgeschichten, etwa im Einzelhandel mit hochmodernen Läden. Es hilft ja nichts, nur auf frühere Erfolge zu blicken – das sehen wir am Beispiel der Automobilindustrie.

 

Welche Chancen haben Unternehmen aus der EU künftig in China?

Zenglein: Unternehmen, die für China relevante Technologien haben, haben gute Chancen, weiterhin in China wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Es heißt aber, dass sie damit realistisch umgehen und ihr Know-how schützen müssen. Selbst wenn China der größte Markt ist, könnte es nötig sein, die Reißleine zu ziehen und sich aus dem Markt zurückzuziehen.

 

Wie kann Europa insgesamt punkten?

Zenglein: Der Draghi-Report zur Zukunft der Wettbewerbsfähigkeit Europas liefert schon gute Anhaltspunkte. Wir hören den Weckruf, dass das Zusammenspiel zwischen Wirtschaft und Politik besser funktionieren soll. Europa muss an seine eigenen Stärken glauben und die Industrien stärken. 

Zur Person

Max J. Zenglein ist Chefökonom von Merics (Mercator Institute for China Studies), dem größten europäischen Forschungsinstitut zur Analyse aktueller Entwicklungen in China und der Beziehungen des Landes zu Europa und der Welt. Es wird von der gemeinnützigen Stiftung Mercator finanziert. Zengleins Forschungsschwerpunkte sind Chinas makroökonomische Wirtschaftsentwicklung, Handelsbeziehungen und Industriepolitik. Vor seiner Arbeit für Merics arbeitete er unter anderem als Economic Analyst in Shenzhen und in Beijing.

Portrait Max zenglein
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