Stefan Carsten
"Neue Mobilität kommt nicht durch Druck und Verbote"

Mobilität ist in der modernen Welt von entscheidender Bedeutung. Aber womit erledigen wir morgen unsere Wege? Der renommierte Zukunftsforscher und Berater Stefan Carsten erklärt, wie die Verkehrstrends von heute unser Leben, unsere Wirtschaft und unsere Städte verändern werden.

Neue Wege

Im Interview erklärt Trendforscher Stefan Carsten, wie der Verkehr der Zukunft unkompliziert wird.

Interview: Stefan Schatz

Darf es ab 2035 nur mehr E-Autos geben? Die Diskussion über das Ende von Benzin- und Dieselmotoren führt in ganz Europa zu heftigen Konflikten. Dabei bewegen Verkehrsexperten längst viel weitreichendere Fragen: Welche Rolle wird das Auto im Verkehr von morgen überhaupt noch spielen? Und welche Verkehrsmittel halten uns zukünftig mobil? Stefan Carsten, renommierter Zukunftsforscher, Autor und Berater des deutschen Bundesverkehrsministeriums, gibt Antworten.

business: Sie sagen, die Mobilität befindet sich in einem Transformationsprozess. Womit werden wir morgen unterwegs sein?

Stefan Carsten: Wir sind heute sehr automobil unterwegs, flankiert mit öffentlichem Verkehr und Fahrrad. Für junge Menschen und Stadtbewohner bedeutet Mobilität aber Freiheit und Unabhängigkeit. Dafür braucht es Flexibilität und Multimodalität, sie wollen je nach Lust, Laune und Bedarf zwischen eigenem Auto, Carsharing, Fahr- oder Lastenrad, öffentlichen Verkehrsmitteln und Zufußgehen wählen können. Dadurch wird das eigene Auto weniger wichtig.

business: Ältere Mitbürger sehen das vielleicht anders. Wie holt man sie mit dem Mobilitätswandel ab?

Carsten: Viele wollen ihr Mobilitätsverhalten nicht mehr ändern. Das ist ein ganz normaler Teil des Transformationsprozesses. Man soll auch niemandem das Auto wegnehmen, es wird auch in Zukunft noch Autoverkehr in den Städten geben. Nur eben weniger. Ein wichtiger Punkt wird autonomes Fahren. Die ersten autonomen On-Demand-Taxis nehmen jetzt auch in Europa ihren Dienst auf.

business: Bleibt aber die Frage, ob sich autonomes Fahren überhaupt durchsetzen kann oder die Skepsis überwiegt.

Carsten: Wir haben in ganz Europa einen Mangel an Busfahrern. Das wirkt sich sogar schon auf die Taktung des öffentlichen Verkehrs aus. Autonomes Fahren ist ein Geschäftsmodell mit riesigem Potenzial: Wenige Minuten nach der Buchung steht ein fahrerloses Fahrzeug vor der Haustüre und bringt einen zum individuell definierten Ziel. Das kostet in zehn Jahren weniger als ein Busticket heute, weil die Personalkosten wegfallen. Ältere Mitbürger nutzen das sehr stark, auch ohne eigenes Fahrzeug bleibt man mobil. Das führt auch in Vororten und im ländlichen Bereich zu sehr attraktiven Angeboten.

business: Fühlt man sich ohne Fahrer auch sicher?

Carsten: In den USA und China sind bereits heute täglich Tausende autonome Fahrzeuge unterwegs, sie sind jetzt schon sicherer als mit einem menschlichen Fahrer. Derzeit gibt es noch sehr wenige Technologieanbieter, die diesen Sicherheitsstandard garantieren. Aber es ist ein Diffusionsprozess, es werden immer mehr werden, in fünf bis zehn Jahren sind solche Robotaxis oder On-Demand-Shuttles auch in Europa im Einsatz. Und um das polemisch zu sagen: 2050 ist es vielleicht Menschen schon verboten, ein Fahrzeug zu lenken – weil es zu gefährlich für die Allgemeinheit ist.

business: Brauchen Unternehmen dann noch eine eigene Flotte?

Carsten: Viele Handwerksbetriebe werden auch in Zukunft nicht ohne Auto auskommen. Der eine oder andere wird die Flotte vielleicht mit Lastenfahrrädern ergänzen, um sich Staus und die Suche nach Parkplätzen zu ersparen, die in den Städten immer knapper werden. Man sollte die verbleibenden Parkplätze genauer definieren und zum Teil für eben jene Handwerker reservieren, die mit Werkzeug und Material zum Kunden vor Ort müssen.

business: Wird es noch Dienstreisen und Autos für Mitarbeiter im Officebereich geben?

Carsten: In Deutschland sagen 50 Prozent der Dienstautobesitzer, dass sie keinen Wagen mehr haben möchten, in Österreich sind es sogar 60 Prozent. Autohäuser bestätigen diesen Trend. Vor allem junge Mitarbeiter wollen ein Mobilitätsangebot zur Verfügung gestellt bekommen. In diesem Budget sollte ein Klimaticket sein, Zugang zu Carsharing, Leasingfahrräder und vielleicht motorisierte Zweiräder. Es kann ja nur ein Teil der Meetings durch digitale Virtualisierung ersetzt werden. Geschäftspartner und Kunden vor Ort zu treffen, mit ihnen von Angesicht zu Angesicht zu reden, bleibt unersetzlich.

business: Welche Rolle spielt künstliche Intelligenz (KI) in der Mobilität von morgen?

Carsten: KI ist die Voraussetzung für autonomes Fahren. In Zukunft wird KI auch helfen, Mobilitätsentscheidungen zu treffen. Derzeit weiß ich zwar, wie viele Schritte ich täglich mache oder wie viel Strom ich zu Hause verbrauche, aber ich habe keine Ahnung, wie oft ich das Auto benutze oder lieber das Fahrrad verwende oder den Bus nehme. KI lernt, wie ich unterwegs bin, und kann mir Vorschläge machen, wie ich effizient und angenehm ans Ziel komme. Sie kann sogar meinen Kalender dahingehend optimieren. Das wird noch ein paar Jahre dauern, aber dann macht KI auch die Mobilität von Unternehmen effizienter und nachhaltiger.

business: Dazu braucht es aber entsprechende Gesetze, die nicht immer leicht zu beschließen sind.

Carsten: Die neue Mobilität kommt nicht durch Druck und Verbote zustande, sondern weil sie das Leben vereinfacht und Spaß macht. Heute kaufen viele Menschen Autos, die sie immer weniger nutzen. Das Auto wird zum Back-up, zur Mobilitätsreserve. Das ist ein typisches Zeichen einer Transformation.

business: Das stellt die Automobilindustrie vor Herausforderungen.

Carsten: Die klassischen Geschäftsmodelle werden mittel- und langfristig nicht mehr funktionieren. Es kommen viele neue Akteure und Player abseits der klassischen Automobilindustrie dazu, die den Transferprozess der Mobilität vorantreiben. Der traditionellste Akteur ist der öffentliche Verkehr, der gerade neue Angebote für Corporate-Kunden entwickelt. Wachstumsindustrien werden der Batterie- und der Wasserstoffbereich, weil deren Einsatz weit über den Mobilitätsbereich hinausgeht. Die wirtschaftlichen Kräfteverhältnisse verschieben sich nicht wegen der neuen Mobilität, sondern vor dem Hintergrund der kompletten Antriebs- und Energieversorgungssysteme. Was diese Transformation hervorbringt, wie die Industrie in 30 Jahren aussehen wird, das weiß niemand zu sagen. Aber sie wird drastisch anders aussehen als heute, so viel ist sicher.